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1  Hochfeiler (3510 m)

  17. August 2016



Diese Besteigung sollte die Krönung unserer Alpenüberquerung werden. Und es wurde eine würdige Krönung. Schon Tage zuvor, zum ersten Mal vom Latschenkopf am Brauneck, sahen wir den großartigen, völlig verschneiten Gipfel und ich zweifelte sehr daran, ihn bei diesen Verhältnissen besteigen zu können. In den Tagen danach schneite es noch mehr, meine Hoffnung sank. Wir starten heute morgen unten in Stein. Leider besteht laut Wetterprognose eine gewisse Gewitterwahrscheinlichkeit. Unser Wetter ist beim Aufstieg gut, es scheint die Sonne, von Wolken keine Rede. Trotzdem beeilen wir uns. Zu2 sehr. Als wir eine kurze Rast auf dem Weg zur Hütte einlegen, sehe ich in Ywis Gesicht, dass das Tempo viel zu schnell für sie ist. Wir dehnen unsere Pause etwas aus, Ywis Atmung beruhigt sich ein klein wenig, danach gehen wir die ganze Sache deutlich langsamer an. Die ganze Zeit sehen wir auf der anderen Seite des Tals unsere Wanderfreunde, die parallel zu uns die Gliederschart´l erklimmen. Wir werden es ihnen morgen gleichtun. Heute aber haben wir etwas anderes vor. Auch wenn wir bisher auf dem Weg aus München schon so viel erlebt haben, und auf dem weiteren Weg nach Venedig noch viel mehr erleben werden, so wird diese heutige Besteigung sich unauslöschlich in meinem Gehirn einbrennen. Als wir an der Hochfeilerhütte ankommen, haben wir deutlich über 1100 Höhenmeter hinter uns. Es herrscht immer noch schönstes 3Wetter. Ywi deckt sich mit Lesestoff ein, holt sich einen heißen Tee und macht sich in einer Ecke der Gaststube für die nächsten Stunden gemütlich. Vom Wirt erfahre ich, dass die letzten 50 Höhenmeter ohne Steigeisen nicht machbar sind. Auf die Frage nach dem Wetter antwortet er mir, ich soll hoch gehen, heute gibt es gute Sicht. Schlechtwetterfronten würde man weiter oben aufgrund der rundum freien Sicht früh genug erkennen. Bei Gefahr soll ich einfach umkehren. Ich packe meinen Rücksack aus, nehme nur das Nötigste mit und mache mich dann auch schon auf den Weg. Es geht mit einer kurzen, mit Seilen versicherten Kletterpassage los, danach, zwar stetig steil, aber zu keiner Zeit schwer, weiter. Ich achte immer wieder auf das Wetter, was bisher stabil zu bleiben scheint und halte das Tempo recht hoch. Zunehmend wird es kälter, aber der Aufstieg hält mich warm, ich behalte sogar meine kurze Hose an. Unterwegs bietet sich dem Bergsteiger eine großartige 4Aussicht und es fällt mir zunehmend schwer, auf meine Schritte zu achten, immer wieder gleitet mein Blick in die Ferne oder zu den unendlichen Weiten des Gletschers unter mir. Dabei führt der Aufstieg oft an ausgesetzten Stellen vorbei, an denen man nicht stolpern sollte. Wahrscheinlich aufgrund des unsicheren Wetters habe ich das Glück, völlig alleine auf diesem Berg unterwegs zu sein. Von unzähligen Berichten weiß ich, dass es hier oft anders aussieht. Verstärkt kommt bei mir dieses, von so vielen Bergtouren wohl bekannte, Gefühl der Demut auf, einerseits der riesige Berg, andererseits ich, der winzige und dieses Mal sogar einzige Mensch. Schon aus der Ferne kann man erkennen, dass der Gipfel unter Schnee liegt. Langsam freue ich mich mit dem Gedanken an, ihn nicht erreichen zu können. Ohne Steigeisen ist es zu gefährlich. Ich tröste mich damit, dass ich auch 50 Meter unterhalb des Gipfels meinen bisherigen Höhenrekord um einiges überbieten werde. Und die Aussichten sind auch von dort aus schön. Mit solchen Gedanken beschäftigt, erreiche ich das Schneefeld. Die Route ist an dieser Stelle zum einen sehr ausgesetzt, links und rechts geht es steil ab, zum anderen der weitere Anstieg wird noch steiler. Ich sehe aber regelrechte Stufen in dem Schnee, die wohl von den Vorgängern stammen. Langsam und vorsichtig setzte ich meinen Fuß in so eine Stufe. Die Sonne wärmte den 5Schnee soweit auf, dass dieser kein bisschen vereist ist, im Gegenteil, ich finde guten Halt. Ich wage den zweiten Schritt. Wieder guter Halt. Mein Puls schießt in die Höhe. Ich wittere meine Chance. Nach zwei weiteren Schritten bin ich mir sicher, es wird mir doch gelingen, den Gipfel zu erreichen. Trotzdem kehre ich als erstes um und mache an dem Rand des Schneefeldes eine längere Pause. Zum einem muss sich erstmal meine Aufregung legen, zum anderen möchte ich mich vor dem letzten Stück etwas ausruhen, immerhin habe ich seit heute morgen fast 2000 Höhenmeter in den Beinen. Ich möchte nicht unkonzentriert da hoch. Ich atme zum letzten Mal tief durch, trinke einige Schlucke Wasser und laufe los. Der Aufstieg gestaltet sich wirklich einfach. Die tief in den Schnee geschlagenen Stufen bieten jeder Zeit exzellenten Halt, keine viertel Stunde später stehe ich am Gipfelkreuz. Tiefgründiges Glück und Dankbarkeit machen sich breit. Glück den Berg bezwungen zu haben, Dankbarkeit dass dieser es zugelassen hat. Etwas weniger Sonne und ich wäre nicht hier oben. Die vereisten Stufen hätten die Gipfeleroberung verhindert. Lange Zeit bleibe ich an der Spitze, die ganz oben eigenartigerweise auf einer Fläche von vielleicht einem Quadratmeter6 schneefrei ist und genieße dieses einmalige Bergpanorama, aber auch zugleich diese unbeschreibliche Ruhe. Die ganze Welt mit ihren Sorgen scheint Lichtjahre entfernt zu sein. Gleichzeitig liegt sie mir komplett zu Füßen. Menschen, die selber Berge besteigen, wissen was ich ausdrücken will, dieses aber mir mit Worten kaum auszudrücken ist. Andere werden es nicht verstehen können. Letztendlich zwingt mich irgendwann die Kälte hier oben, den Rückweg anzutreten. Nicht nur die ersten Meter im Schnee, auch im weiteren Verlauf dieses Abstiegs muss ich die Konzentration hoch halten, es gibt einige ausgesetzte Stellen zu überwinden. Offensichtlich hält der hohe Adrenalinstoß die Folgen der bisherigen Anstrengungen in Grenzen, ich fühle mich nicht annähernd müde oder gar ausgepowert. Das grandiose Wetter hält sich den ganzen Tag, ich komme im Sonnenschein unten an der Hütte an. Auf  einer Höhe von 2700 Metern über dem Meer von unten zu sprechen ist verrückt, aber genau dieses Gefühl hat man, wenn man von dem 3510 Meter hohen Gipfel kommt. Ywi wartet schon in der warmen Stube der Hütte mit einem Glas Wein auf mich. Anscheinend war ich sehr schnell unterwegs, weil alle sich wundern, dass ich schon zurück bin. Es gibt nicht viele Gäste heute hier, so sitzen wir mit fast allen inklusive des Hüttenwirts gemeinsam am Tisch und ich muss zuerst von meinen Erlebnissen erzählen und die vielen, unterwegs geschossenen Bilder zeigen. Diesen unvergesslichen Tag beenden wir mit einem großartigen Essen, für das die Hochfeilerhütte, wie wir erst später erfahren, wohl bekannt ist und wie so oft in den Bergen im Kreis netter und interessanter Menschen. Bei dem einen oder anderen Glas Wein lauschen wir den vielen Geschichten, die jeder zu erzählen hat, bis die Müdigkeit die Oberhand gewinnt und wir uns auf unser Lager verziehen. Noch einige Zeit hindert mich mein Kopfkino am Einschafen. Verwunderlich ist dies aber keineswegs...
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